Dr. Razi Hejazian Berlin 2003
Von der Industrie- und Handelskammer zu Berlin
öffentlich bestellter und
vereidigter Sachverständiger
Für Orientteppiche und Kelims

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Textauszug der 6. Publikation
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" Tuhli - Am Beginn der Teppichkunst "


277 X 98 cm um 1930
Vorder- / Rückseite
273 X 99 cm um 1910
Vorder- / Rückseite

"TUHLI " Am Beginn der Teppichkunst

Seit Urzeiten schliefen die Menschen auf zusammen - genähten Fellen, bis es ihnen gelang, Wolle in Gewebe aus Kett- und Schussfaden einzuknüpfen und einen größeren, gleichmäßigen Schlafteppich herzustellen. Dieser Ursprung ist bei den "Tuhlis", auf die ich vor kurzem in Nordwestpersien zufällig gestoßen bin, deutlich zu erkennen.
Soweit sich bis jetzt ermitteln ließ, ist diese Teppich- Gattung aus dieser Region völlig unbekannt.
Das unterstreicht wieder die Tatsache, wie umfangreich und unerforscht die textile Nomadenkunst ist, und wie unzureichend unsere bisherigen Kenntnisse sind.

Für den täglichen Gebrauch wurde der "Tuhli" auf dem Boden als Schlafunterlage und als Schutz gegen die Kälte ausgebreitet. Er bildete auch eine ideale weiche Sitzunterlage. In dieser Funktion wurde er von den Einheimischen als "Gaba" bezeichnet.

Einige Teppichforscher, wie der bekannte Kurt Erdmann, habe die Entstehung und den Ursprung des Teppichs mit der Hypothese erklärt, dass die Menschen anfänglich durch das Einbinden geschorener Schafswolle oder Ziegenhaar ein künstliches Tierfell geschaffen haben.
Folgt man diser Ansicht, hat der Teppich ursprünglich das Tierfell ersetzt.

Auch die Abgelegenheit der Orte in Nordwestpersien hat sicher eine entscheidene Rolle dabei gespielt, dass sich die archaische Form dieser Teppichherstellung durch die Jahrhunderte hindurch erhalten hat.

Es scheint so, dass es erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem entgültigen Abbruch der Tuhli- Herstellung gekommen ist. Das Verschwinden des Nomadentums (vgl,: Razi Hejazian: Nomaden im Iran, Berlin 1999), die Erschließung immer weiterer Gebiete für die kommerzielle Teppichproduktion und nicht zu letzt die Flucht in die Städte mit ihren vermeintlichen Segnungen haben dazu beigetragen, dass die reiche Kultur und Überlieferung der " Tuhlis " heute unwiederbringlich ausgelöscht ist.

Der " Tuhli " hat charakteristische Merkmale in Struktur, Material und Musterung, die ihn deutlich von allen anderen Arten von Nomadenteppichen unterscheidet. Eines davon ist seine Grundstruktur.
Bis zu vierzig Schussreihen sind zwischen zwei langflorige Knotenreihen eingefügt, diese ergeben dann ein bis zu 10 Zentimeter breites Kelim- Gewebe. Die " Tuhlis " sind damit eine Kombination aus Flachgewebe und Knüpfteppich, d.h. es wechseln sich Kelimstreifen mit Knotenreihen rhytmischab. Der Flor ist so lang, dass er die Flachgewebestreifen überdeckt.

415 X 115 cm um 1920
Vorderseite

Die " Tuhlis " stehen in dieser Tradition und sollten in diesem Zusammenhang untersucht werden.Sie haben als Teppich- Gattung in einer abgelegenen Gegend Persiens etliche Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende fast unverändert überlebt. Man kann sagen, dass die Tuhli- Herstellung von der historischen Teppichentwicklung fast unberührt geblieben ist. Es ist durchaus vorstellbar, dass wir Teppiche vor uns haben, die zwar selten älter als hundert Jahre sind, sich aber kaum von ihren Vorläufern aus der prähistorischen Zeit unterscheiden. Daraus ergibt sich der große ethnologische Wert dieser Stücke. Nur wenige andere Objekte gewähren dem Forscher und Betrachter einen so direkten Zugang in die Vergangenheit.

Die " Tuhris " wurden ausschließlich für den Eigenbedarf der Nomaden hergestellt. Damit waren sie keinerlei Zwängen und Vorgaben des städtischen Absatzmarktes unterworfen.

280 X 96 cm um 1920
Vorderseite
284 X 116 cm um 1930
Vorderseite
349 X 117 cm um 1940
Vorderseite
325 X 115 cm um 1930
Vorderseite

Am nächsten sind die " Tuhlis " mit Gabbehs aus Südwestpersien und Tüllü- Teppichen aus Anatolien verwandt. Die Querverbindungen sind hier noch nicht erforscht.
Ein interessanter Aspekt bei den " Tuhlis " ist, dass sie eventuell beidseitig Verwendung fanden. Sowohl der gknüpfte Flor auf der einen Seite (Flor- Seite), als auch die gewebten Streifen auf der anderen Seite (Kelim- Seite) weisen unterschiedliche Muster auf. Auf der Flor- Seite sind die gewebten Streifen nicht sichtbar.
Auf der Kelim- Seite hat man ausser der jeweiligen Farbgestaltung der gewebten Streifen, die manchmal sogar mit Stickereien versehen sind, auch die Flor- Musterung, die sich hier durch die Knotenschlaufen bildet. Es liegt daher nahe, dass die Kelim- Seite von den Nomaden bevorzugt wurde. So könnte die Flor- Seite mit langen Haaren als Polsterung gedient haben.

Hergestellt hat man sie aus hochwertigen, geschmeidigen Materialien. Die rohe Wolle wurde für den Flor so verwendet, wie man sie von der Ziege oder dem Schaf geschoren hat. Der Florfaden ist weder gesponnen noch gezwirnt.

Es gibt ausschließlich einfache und geometrische Kompositionen. Wir finden quadratische oder rautenförmige Gitter, konzentrische Felder, Streifen und Rauten. Diese Formen könnten tierischen Fellzeichnungen nachempfunden sein.Zebras, Bären, Löwen und Wölfe haben von jeher die Phantasie der in der Natur lebenden Völker beflügelt.

Die " Tuhlis " öffnen uns ein Fenster zu der elementaren Formensprache der Naturvölker, zu den Anfängen der Teppichkunst, zur Vorstellungswelt der Nomaden. Sie haben die Dynamik unf Kraft der Steppenvölker in großartiger Erhaltung bewahrt.

Motive und Muster, die in den " Tuhlis " Verwendung fanden,können auch symbolische und mystische Bedeutungen gehabt haben. Hieraus und aus der zugrunde liegenden Ur- Symbolik wird manches Stammesmuster entstanden sein. Diese Fragen bleiben offen und brdürfen fundierter Forschungsarbeiten.

Die genuine Gestaltung, die stark leuchtenden Farben, der Glanz und Lüster der Wolle, die ausgeprägte Materialität, und das daraus resultierende plastische (reliefbildende) Aussehen machen diese Teppiche zu einer besonderen und unverwechselbaren Gattung innerhalb der nomadischen Textilien. Neulich brachte ein erfahrener Teppich- Kenner, nachdem er diese Stücke bei mir gesehen hatte, seinen Eindruck über
" Tuhlis " so zum Ausdruck:
" Im Vergleich zu allen bis heute bekannten Textilerzeugnissen aus dem Orient kommen mir Tuhlis " unzivilisiert " vor. Und hier liegt genau ihre Faszination ".

Es ist bedauerlich, dass die " Tuhlis " als Vertreter von Teppichen aus ältester Zeit nicht früher entdeckt und dokumentiert worden sind. Die Eigenschaften der " Tuhlis " lassen uns den Ursprung der mannigfaltigen Web- und Teppichkunst erkennen, aus dem der höfische Seidenteppich gleichermaßen hervorgegangen ist, wie der Stammesteppich der Bergnomaden.

Es wird nicht lange dauern, bis sich die " Tuhlis " ihren rechtmäßigen Platz unter den bedeutenden orientalischen Textilien gesichert haben.

231 X 108 cm um 1920
Vorder- / Rückseite
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